Alles Gute, Wolfgang Piesk!
Zur Verabschiedung des langjährigen Mitglieds der Fagott-Gruppe

Auch 46 Dienstjahre gehen irgendwann zu Ende. Fast ein halbes Jahrhundert hat sich der Fagottist und Kontrafagottist Wolfgang Piesk im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Leidenschaft dem Musizieren gewidmet und daneben viele administrative, organisatorische und kollegiale Aufgaben übernommen. Mit 19 trat er im Januar 1971 seinen Dienst an – glücklich, dass er auf Anhieb in einem der besten Orchester Deutschlands engagiert worden war. In seiner Heimatstadt Berlin, in der er auch sein Studium absolvierte, hätte er nicht bleiben können, da zum entsprechenden Zeitpunkt in keinem der West-Orchester eine Fagott-Stelle vakant war – eine der prominentesten Berliner Stellen, die des Solo-Fagottisten der Philharmoniker, hatte übrigens sein Vater inne, von dem er auch den ersten Unterricht erhalten hatte. Was das Symphonieorchester für Wolfgang Piesk besonders attraktiv machte, war neben der hohen Qualität vor allem auch sein damaliger Chefdirigent Rafael Kubelík – nur wenige Orchester in Deutschland hatten einen so renommierten, begeisternden und universellen Künstler an ihrer Spitze. So begann er seinen Dienst in einer „ganz tollen Zeit“, die bis heute nachwirkt und deren Geist das Orchester noch immer an die nachfolgenden Generationen weiterreicht. In jedem Klangkörper gebe es ein „Orchestergedächtnis“, so Wolfgang Piesk, das sich über die Art des Musizierens bewahrt, selbst wenn nach einem halben Jahrhundert eine völlig andere „Mannschaft“ spielt. Kubelík hat das Orchester mit seinem „musikantischen Musizierstil“ geprägt, was auch Mariss Jansons besonders angesprochen habe. Und umgekehrt fühlt sich das Orchester noch heute unmittelbar wohl, wenn ein Dirigent auf eine ähnliche Art musiziert wie Kubelík. Auch die Ära Lorin Maazel sei für das Orchester entscheidend gewesen. Er habe das Orchester technisch und in seiner Präzision „auf Vordermann gebracht“, neben der Repertoire-Erweiterung eine seiner großen Leistungen, von denen das Orchester bis heute zehrt. Als Orchestervorstand in der Zeit von 1986 bis 1997 war Wolfgang Piesk maßgeblich daran beteiligt, Maazel als Chefdirigenten zu gewinnen. Im Palace-Hotel in München saßen er, seine Vorstandskollegen und Maazel gemeinsam an der Bar; da sei es ihnen gelungen, den Maestro „so anzustechen, dass er anfing, darüber nachzudenken“.
Über den Orchesteralltag in vergangenen Zeiten kann Wolfgang Piesk schillernd und ergiebig plaudern. Wer könnte sich heute noch vorstellen, dass es früher Kollegen gab, die in Anzug und Krawatte zur Probe kamen, oder dass man 1971 auf Reisen noch in Doppelzimmern untergebracht war und dort sogar gemeinsam kochte? In den Anfangsjahren seiner Dienstzeit waren Tourneen noch seltene Ereignisse, später, vor allem in der Ära Maazel, hat die Reisetätigkeit so zugenommen, dass man „ständig einen gepackten Koffer bereit hatte“. Aber nein, zu einem Gruppenkoller konnte das nicht führen, allerhöchstens zu einem Reisekoller …
Wolfgang Piesk hat auch jenseits des Fagotts großen Einsatz für das Orchester geleistet: als Vorstand, als Orchester-Vertreter in der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) und als Medienbeauftragter, in dessen Funktion er sich um Schallplattenverträge und Leistungsschutzrechte kümmerte. Daneben war er Vorstand der Orchesterakademie München, in der die großen Orchester Münchens und die Musikhochschule ihre Ausbildungsaktivitäten gebündelt hatten, bevor sich die einzelnen Akademien gründeten.
Und was zeichnete den Musiker und Menschen Wolfgang Piesk für die Kollegen und das Orchesterkollektiv aus? „Er kam aus einer Fagott-Schule, die, wie man es so schön auf Berlinerisch sagt, knorke war“, so der Fagott-Kollege Rainer Seidel, „und das hat er auch versucht, in seinem Charakter zu vermitteln. „ Mit seinem Humor, seinem handfesten Pragmatismus und seiner klaren Haltung war er eine wichtige Stimme im Orchester. Diese Eigenschaften kamen ihm für seine Arbeit als Orchestervorstand zugute. Er war ein „guter Moderator“, blieb stets ruhig, konnte aber auch „Kante zeigen“, wenn es wichtig war. Auf die Frage, was fehlen wird, wenn er das Orchester verlässt, wird Rainer Seidel spürbar nachdenklich und wehmütig. „Eine Type, ganz einfach“, sagt er nach einer kleinen Pause. Aber so traurig das ist, so schön sei auf der anderen Seite, dass die starken Persönlichkeiten auch immer wieder nachwachsen.
Wolfgang Piesk selbst sieht seinen Eintritt in den Ruhestand in bewährter Weise gelassen und pragmatisch. Er will die Dinge auf sich zukommen lassen und freut sich, dass er nun mehr Zeit für seine Familie hat und öfters seine Enkel in Athen und Berlin besuchen kann. Ein Grund, der „ein bisschen Trübsal aufkommen“ lasse, sei, dass das Musizieren gerade im Moment „so unglaublichen Spaß“ mache, weil sich die jüngeren und älteren Kollegen im Orchester fantastisch ergänzen und es eine „tolle Akzeptanz in beide Richtungen“ gibt. Aber bevor er allzu melancholisch wird, wendet sich Wolfgang Piesk lieber wieder der humorvollen Sicht auf die Dinge zu. Es sei doch sehr schön, dass er „nun endlich in Ruhe Rohre [Mundstücke] bauen könne, ohne dass sie funktionieren müssen“.