Die Corona-Epidemie hat die Musikwelt in eine tiefe Krise gestürzt. Eine Branche ist in ihrer Gesamtheit getroffen und zugleich jeder einzelne für sich, Musikerinnen und Musiker ebenso wie das musikliebende Publikum. Unzählige Initiativen sind entstanden, um gegen die Lähmung anzukämpfen – und wurden mit Dankbarkeit aufgenommen. Sogar ein (Ersatz-)Konzertleben ist inzwischen erfolgreich in den Regelbetrieb gegangen. Doch sind die Gefahren, die über dieser labilen „neuen Realität“ schweben, für jeden spürbar, nicht zuletzt die des Verlusts an gegenseitiger Verbundenheit – durch weniger Begegnungen, weniger Austausch, weniger
gemeinschaftliches Tun und Erleben. Wir wollen mit unserem neuen Dossier eine Möglichkeit schaffen, miteinander in Verbindung zu kommen und zu bleiben. Was hat uns in den letzten Monaten bewegt? Auf welche Weise ist Musik in uns verankert? Welchen Umgang pflegen wir mit ihr? Das Dossier soll als Forum dienen, Gedanken in Zeiten von Corona für die Öffentlichkeit und unser Publikum zu formulieren – frei in der Form und ohne Schranken. Den Anfang wagt BRSO-Kontrabassist Frank Reinecke mit einer ganz persönlichen Reise durch Beethovens Missa Solemnis, jenes Werk, mit dem Mariss Jansons im Frühjahr dieses Jahres seinen, zusammen mit dem
Symphonieorchester beschrittenen Weg als Beethoven-Interpret so gerne gekrönt hätte und das, wie so viele andere, nicht erklingen konnte. Auf seinem Streifzug durch die Partitur gerät Frank Reinecke zwischen die Fronten von Schwärmen und Verstehen, er begegnet Koryphäen der Beethoven-Deutung und wird, ganz nebenbei, von grundsätzlichen Fragen zur Musik in die Mangel genommen: Gibt es ein „Werk an sich“? Kann man nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Geiste hören? Und auf welche Weise wird man als Hörer von einem Werk angesprochen? Das Feld ist eröffnet!